Juni 2013

Geschichtsquiz Juni 2013

Frage: Auf alten Fotos und Ansichtskarten Leichlingens bilden sie den unverwechselbaren Stadtmittelpunkt an der Ecke Neukirchener Straße / Kirchstraße - die „alte“ und „neue“ Ortsschule von 1821 bzw. 1867. Historische Aufnahmen zeigen die Schulen nahezu ausnahmslos aus der Perspektive des Brückenplatzes, weshalb ein jüngst im Stadtarchiv entdecktes Foto überrascht: Im toten Winkel hinter der neuen Ortsschule versteckte sich auf der Kirchstraße ein rund 5 Meter hoher Turm mit Kuppel. Dieser lag hinter der Schule so verborgen, dass das Foto etwa aus dem Jahr 1912 die einzige Aufnahme des rätselhaften Reliktes darstellt. Was für eine Funktion besaß der mysteriöse Turm inmitten der Stadt?

Er diente als

a) Eingang zur städtischen Kanalisation getarnt als Litfaßsäule

d) Pumpwerk für die Wasserversorgung im innerstädtischen Bereich

c) Transformatorenturm der Bergischen Elektrizitätswerke

Die Antwort lautete:

c) Transformatorenturm der Bergischen Elektrizitätswerke

 

In der Tat stellt der rätselhafte Turmes inmitten Leichlingens einen Transformatorenturm der Bergischen Elektrizitätswerke dar. Mit der Elektrifizierung ab 1901 setzte die Stadt einen wichtigen und wegweisenden Schritt in Richtung „Moderne“: Bürgermeister Gustav Dahlmann (1890-1902) initiierte das wichtige Abkommen des Elektrizitätsvertrags an der Schwelle zum neuen Jahrhundert - was Paul Krautmacher 1995 denn auch zu Recht als „Anfang eines neuen Zeitalters, das kalendermäßig genau mit dem Beginn des Jahrhunderts begann“, wertete.

Bei alledem war der 1911 hinter der Leichlinger Ortsschule errichtete Transformatorenturm ein Stück im Leichlinger Energiepuzzle. Auch auf dem Gelände des Messerreiders* August Fassbender an der Hochstraße Ecke Sandstraße (Unterschmitte) errichtete das „Bergische Electricitätswerk“ einen solchen Turm, der allerdings ein vollkommen anderes Aussehen besaß. 

Im Gegensatz zur Hochstraße sorgte der Transformator nahe der Schule an der Kirchstraße vor seiner Errichtung für einigen Wirbel. So wandte sich Hauptlehrer Horst im April 1911 schriftlich an Bürgermeister Ernst Klein, der Schulplatz sei eh schon zu klein, etwaige Geräusche des Transformators würden den Unterricht stören und der Bau des Turms könnte die Kinder gefährden (in: Bauakte Kirchstraße - Transformatorenturm, 1911). Allerdings waren die Proteste genauso vergebens wie gegenstandslos. Weder während noch nach Errichtung des Turms kam es zu Unfällen oder Störungen.

* Messerreider: Arbeiter, der ausschließlich Messer produziert.

Die Elektrifizierung Leichlingens

Wie in den umliegenden Gemeinden Solingen, Wald, Gräfrath, Ohligs und Höhscheid, lieferte das Bergische Elektrizitäts-Werk m.b.H. (B.E.W.) als Stromproduzent hiernach Strom nach Leichlingen, wobei es die Zuleitungen bis an die Häuser der Abnehmer ausbaute. Da die Stadt nicht in der Lage war, die Überlandleitungen selbst zu errichten, erhielt das Werk die Erlaubnis, diese an öffentlichen Straßen und Wege zu errichten. Auch rechneten die Bergischen Elektrizitätswerke direkt bei den Kunden ab - aus heutiger Sicht war das Elektrizitätswerk damit gleichermaßen Produzent, Netzbetreiber und Dienstleister.

Für die von der Stadt an das Werk erteilte alleinige Nutzungsberechtigung der Straßen und Wege erhielt Leichlingen im Gegenzug eine kostenlose Beleuchtung der Straßen. Zudem war die Stadt zu einem gewissen Prozentsatz an den Gewinnen beteiligt. Die kostenlose Straßenbeleuchtung entfiel später zugunsten eines allgemeinen Preisnachlasses bei den städtischen Stromkosten.

Krautmacher beschreibt die „elektrisierte“ Atmosphäre um 1905 wie folgt:

„Die Überlandleitungen des B.E.W. Solingen nach Leichlingen und die Transformatorenstation[en] … waren schon bald … errichtet, und es erstrahlten im Jahre 1901 die ersten Gebäude, von alt und jung bewundert im Lichte der Elektrizität. Nicht nur die Industrie und das Gewerbe, sondern auch schon manche Hausbesitzer und Wohnungsinhaber wurden Stromabnehmer. Es brannten die elektrischen Lampen auf Straßen und Plätzen, in den Schaufenstern, auf den Arbeitsplätzen der Büros und Betriebe der Verwaltungen wie auch in der Kirche. Auch der Leichlinger Bahnhof erstrahlte seit dem Frühjahr 1905 im elektrischen Licht.“ (Paul Krautmacher: Leichlingen - Wachstum und Fortschritt in Freud und Leid, Leichlingen 1995, S. 96 ff.)

Kurzum: Leichlingen war - neben dem Eisenbahnanschluss von 1867 - endgültig in der „Moderne“ angekommen. Neben dem Licht, das des Nachts nicht nur bessere Sicht brachte, sondern auch mehr Sicherheit zeitigte, waren es vor allem die elektrischen Motoren, die einen neueren Entwicklungsschub in der Stadt bewirkten: Die neu gewonnene Unabhängigkeit von der Wasserkraft eröffnete für viele Unternehmen neue Chancen, sodass sich eine Reihe an neuen Firmen und Handwerkern ansiedelten. Weite Wege von Kotten und Mühlen entfielen, Heimarbeiter wurden unabhängig von der natürlichen Kraft des Wupperwassers. Allein große Unternehmen wie die Färberei Römer oder die Firma Rosendahl in Balken durften weiterhin Strom in Eigenregie mittels Wasserturbinen erzeugen.

In nur 6 Jahren stieg bis 1908 die Zahl der elektrischen Motor- und Kleinbetriebe in Leichlingen von sieben auf 68, und i Im Jahr 1913 waren es derer bereits 138. Im gleichen Zeitraum wuchs die Zahl der Privatanschlüsse von 29 auf 130 Abnehmer an (1903-1908). Die Elektrifizierung Leichlingens bedeutete eine Erfolgsgeschichte - in den wenigen Jahren bis Kriegsausbruch 1914 schlossen sich viele Häuser, Geschäfte und Firmen der neuen Energieversorgung an.

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